Finale 97d
Coda Music
Mit neuem Produktnamen
und einigen kleinen, aber entscheidenen Verbesserungen schickt sich Coda Music an,
die Spitzenposition im Bereich Noten-Editoren weiter auszubauen. Besondere Beachtung
verdient die neue Programmierschnittstelle zur Einbindung diverser Zusatzmodule.
Gerade noch rechtzeitig, um die Jahreszahl
im Produktnamen zu rechtfertigen, wurde Finale 97 Ende des vergangenen Jahres dem
US-Markt präsentiert. Seit Februar '98 liegt nun die knapp 26.5 MB große
Version 3.8 (lauffähig ab 68040 Prozessoren) mit deutscher Dokumentation und
Programmoberfläche vor. Als erster offenkundiger Unterschied gegenüber
dem Vorgänger (3.7) fällt die für Finales Verhälnisse nahezu
spartanisch anmutende Ausstattung des Lieferpaketes auf: Anstelle der bislang mitgelieferten
vierteiligen Handbuch-Phalanx mit insgesamt ca. 1140 Seiten beschränkt sich
Finale 97 auf lediglich ein (!) gedrucktes, etwa 200 Seiten umfassendes Handbuch.
Zusätzlich stehen dem Anwender per Software
- die Helpballoons der "aktiven Hilfe" (beschreiben Menüs und Kommandos),
- Hilfstexteinblendungen unter der Menü-Leiste
(Namen und Funktionenen einzelner Werkzeuge) und
- eine umfassende Online-Dokumentation
(erklärt OnScreen alle Befehle und Möglichkeiten) zur Verfügung.
Diese sind beim Einarbeiten in Finales "Denk"- und Funktionsweise auch
dringend erforderlich. Ohne jene Hilfen bedarf es eines hohen Abstraktionsvermögens
und eines ausgeprägten detektivischen Spürsinns, um Finales Logik zu verstehen
und sich durch die erschlagende Menge von Funktionen zu kämpfen.
Außerdem kann bei auftretenden Fragen und Problemen über die Finale-Hotline
ein Experte des deutschen Vertriebes (KLEMM Music Technology) konsultiert werden.
Das Handbuch selbst ist trotz kleinerer orthographischer Patzer recht sorgfältig
und kompakt geschrieben. Jedoch wirkt der Schreibstil sehr sachlich und ist daher
etwas ermüdend zu lesen. Unterm Strich kann der Neueinsteiger bei mäßigem
Einsatz innerhalb weniger Tage Finales Logik verstehen und sich mit den wesentlichen
Hauptfunktionen bzw. Werkzeugen vertraut machen. Nach Ansicht der Handbuchautoren
sollte man nun in der Lage sein, mit dem "ersten eigenen Projekt" beginnen
zu können. Die gewählten Voreinstellungen und die Vorlagenbibliothek sind
hierbei durchaus hilfreich. Aber aufgrund der Fülle von Funktionen braucht der
Anfänger ein nicht unerhebliches Maß an Einsatzbereitschaft, bis er die
gebotenen Möglichkeiten flüssig einsetzen kann. Erst dann zeigt sich, daß die Finale-Entwickler tatsächlich fast jeden denkbaren Problemfall einkalkuliert
haben und entsprechende Lösungen anbieten. Das von Low-Cost-Editoren bekannte
Sinnieren, wie man das Programm durch "überlisten" zur optischen Darstellung
eines speziellen Falles zwingen kann, entfällt. Allein die hierbei gesparte
Zeit sollte derzeitige Usern anderer Notensatzprogramme den Umstieg auf Finale zumindest
in Erwägung ziehen lassen.
Neues in Finale 97
Ein Bonbon der besonderen Art offeriert Finale 97 mit der neu geschaffenen Programmierschnittstelle.
Sie ermöglicht die Einbindung von Zusatzmodulen (PlugIns) zur Erweiterung spezieller
Notationsanforderungen. Darüberhinaus bedeutet sie für Drittanbieter die
Chance und Aufforderung zugleich, durch eigene Module Finales Fähigkeiten zu
verbessern (Spezielle Plug-Ins für automatisierbare Ritardandi/Accelerandi (s.u.)
und direkt wählbare Quantisierungsarten (s.u.) rangieren auf der Wunschliste
ganz oben!).
Eine vollständige Liste aller mit Finale 97 ausgelieferten PlugIns findet sich
unter http://www.klemm-music.de/new/new.htm. Stellvertretend für die mitgelieferten Erweiterungsmodule
seien nur die folgenden drei genannt:
- "Zusätzliche Vorzeichen" ermöglicht das automatische Einfügen zusätzlicher Vorzeichen und
(eingeklammerter) Sicherheitsvorzeichen (gemäß definierbarer Kriterien)
- bis hin zum Setzen eines Vorzeichens vor grundsätzlich jede Note. Bei der
Einrichtung eines individuellen Notations-Stils erspart man sich so einen Großteil
der bislang erforderlichen "Handarbeit".
- "Einfache Wiederholung" und "Wiederholung mit Überleitung" erlauben das vereinfachte
Einfassen eines angewählten Abschnittes mit Wiederholungszeichen und gestatten
darüberhinaus, Wiederholungen mit verschiedenen Schlußwendungen zu erzeugen.
- "Prüfung des Tonumfangs" untersucht den Tonumfangs eines angewählten Notentextes auf Spielbarkeit
für spezifische Instrumente bzw. Vokalstimmen anhand der Kriterien "Anfänger",
"Fortgeschrittene" und "Profis". Besonders nach Transpositionen
kann sich der Arrangeur einen nicht unerheblichen Teil der Kontrollarbeit sparen
(- nie wieder böse Überraschungen der Art: "Herr Kompositör...,
ähh, ... diesen Ton gibt es auf meinem Instrument nicht!"...)
Weitere Neuerungen und Verbesserungen
Innerhalb der Programm-Optionen wurden die möglichen Voreinstellungen erweitert
(z.B.: Name des Startdokuments, Ansichtsgröße und Ansichtsart beim Öffnen
eines Dokuments, individuelle Anzeige von Werkzeugmenüs). Auch wenn hiermit
die ohnehin schon erschlagende Anzahl wählbarer Optionen nochmals erhöht
wird, stellen sich gerade diese Neuerungen als außerordentlich hilfreich heraus.
Der Anwender sollte sich unbedingt die Mühe machen, das Startdokument und die
mitgelieferten oder selbsterstellten Vorlagendateien durch entsprechende Optionen
so einzurichten, daß er bereits zu Beginn der Arbeit einen optimalen, individuell
eingerichteten Arbeitsplatz vorfindet.
Andere Voreinstellungen wurden nochmals auf ihre Praxisnähe überprüft
und z.T. verändert. Neben
- der Hinzufügung einiger Kontextmenüs,
Untermenüs und weiterer Optionen,
- der Einführung anderer Tastaturkürzel
und
- der Neu- bzw. Umordnung innerhalb der
Menüs
sind besonders folgende Neuerungen interessant:
- Die Funktion "Stimmen Verteilen" wurde netterweise nochmals überarbeitet.
Neben einigen Erweiterungen ist besonders erwähnenswert, daß diese Operation
nun sogar funktioniert (...). Bis zu Version 3.7 kam es bei eben diesem Menüpunkt
nicht selten zu interessanten, aber meist unbeabsichtigten Resultaten. Wer auf den
musikalischen Zufallsgenerator "Stimmen Verteilen" nicht verzichten möchte,
sollte seine alte Finale-Version nicht voreilig von der Festplatte ins Jenseits befördern.
- Durch erweiterte und dennoch vereinfachte Bearbeitungsmöglichkeiten innerhalb
der entsprechenden Dialogboxen wurde die Formung und Positionierung von Haltebögen
deutlich verbessert. Davon profitiert speziell die vormals problematische Darstellung
gebundener Prim- bzw. Sekundintervalle und der Einsatz von Bindebögen bei punktierten
Noten.
Um den Richtlinien der Music Publisher's Association zu entsprechen, bietet Finale
den neuen Zeichensatz ENGRAVER an (typisches gestochenes Aussehen der Partitur, zusätzliche
Zeichen und Musikzeichen für die Einbettung in Texte).
- Erweiterte Flexibilität bei der Bezeichnung von Akkorden mittels Symbole (Positionierung
der Akkordgrundton-Vorzeichen) liefern die Schreibweisen "Nashville A" und "Nashville B".
- Artikulationen, Vortragszeichen und Vortragsangaben lassen sich wahlweise auf dem
Bildschirm darstellen, ohne daß sie ausgedruckt werden.
Verbleibende Kritikpunkte
Die Erstellung eines Ritardandos wird im Handbuch über mehrere Seiten hin sehr
anschaulich beschrieben. Allerdings erscheint es mehr als fraglich, ob sich auch
nur ein einziger Anwender die Mühe machen wird, eine solche Vielzahl von Arbeitsgängen
"nachzuarbeiten". Hier drängt sich die Forderung nach einem Zusatzmodul
zur weitestgehenden Automatisierung von Ritardandi bzw. Accelerandi auf (Könnte
man nicht bei gängigen Sequenzern ausspionieren, wie so etwas aussehen sollte?).
Ebenfalls höchst gründlich wird
erklärt, wie Finale dazu bewegt werden kann, Achtelnoten durch prozentuale Änderung
der Einstellung in ternäre Werte zu verwandeln und im "Swing-Feel" wiederzugeben. Hier würde ein simples Einblendmenü mit den Optionen binäre/ternäre
Achtel und binäre/ternäre Sechzehntel als Grundquantisierungsmuster den
Großteil aller auftretenden Phrasierungsanforderungen abdecken und dem User
eine Menge unnötiger Einstellungen abnehmen.
In der fortlaufenden Ansicht ist bislang nur ein taktweises Umblättern möglich.
Dennoch kann es - speziell bei langen Takten oder kleinen Monitoren - erforderlich
werden, das Geschehen zwischen zwei Takten genauer zu betrachten (z.B. taktübergreifende
Bögen). Um nicht dauernd in die Seitenansicht wechseln zu müssen, könnte
man optional auch in der Fortlaufenden Ansicht das lineare Scrollen ermöglichen.
Der Cursor im "Schnelle-Eingabe-Wekzeug" ist vom Notenbild (speziell von
den Notenköpfen) z.T. nur sehr bedingt zu differenzieren. Die Möglichkeit
der farblichen Darstellung des Cursors könnte hier Abhilfe schaffen.
Für die polyphone Notation innerhalb eines Systems (unterschiedliche Ebenen)
bietet Finale keine automatische oder optionale Verschiebung von Noten im Prim- oder
Sekundabstand an; das nachträgliche Verrücken der Noten kann u.U. eine
beträchtliche Mehrarbeit bedeuten. Auch hier wäre die Entwicklung eines
Zusatzmoduls angebracht.
Weiterhin unklar bleibt der praktische Nutzen der bei Aufnahmen im Hyper-Scribe erscheinenden
Zwischenspeicherbox, die informieren soll, ob der Rechner die eingespielte Notenmenge
noch verarbeiten kann. Wie soll der User, während er auf der Tastatur spielt,
mit dem Pedal die Temporeferenz erzeugt und eventuell noch in handgeschriebene Notenskizzen
schaut, auf dem Monitor die blinkenden Punkte in der Zwischenspeicherbox beobachten???
Statt dieses albernen, sich mit pulsierenden Punkten füllenden Quadratpärchens
würde ein einfacher Warnton weitaus sinnvollere Dienste leisten. Vielleicht
aber hätte man überschüssige Energien der Entwickler eher auf das
Erscheinungsbild der Palettenfenster der Werkzeuge und Zeichen und der Wiedergabekontrolle
lenken sollen. Diese "bestechen" nach wie vor durch eine
eher schlichte grafische Gestaltung. Allein um die Paletten besser von der Partitur
im Hintergrund optisch differenzieren zu können, wären Pseudo-3D (mit "klickbaren" Schaltern; vgl. nahezu alle gängigen Konkurrenzprodukte!) und Zoom-Funktionen
(um die Hauptpaletten dem jeweiligen Monitor und der konkreten Partitur anpassen
zu können) nicht nur "chic" und professionell, eigentlich gehören
sie im Jahre Eins nach MacOS 8 auch zum allgemeinen Standard.
Wohl um den eher "gemütlich" verlaufenden Bildschirmaufbau zu kaschieren,
hat man für "Layout erneuern" eine Extra-Funktion eingerichtet: Diese
muß man nach allen Prozessen, die die Taktbreite verändern, aktivieren,
um sich vom Ergebnis der gerade durchgeführten Arbeitsgänge überzeugen
zu dürfen. Will man den Rechner vor tätlichen Angriffen und die Nachbarn
vor lautstarken Flüchen schützen, so sollte der besonnene Anwender tunlichst
die unter "Optionen für Layout erneuern" versteckte Automatisierung
dieses Vorgangs beantragen. Was das Tempo des Bildschirmaufbaus betrifft, so lassen
sich unter "Optionen für Bildschirmaufbau" noch einige Zehntelsekunden
herausholen; letztlich bleibt aber nur die Hoffnung, daß sich diese unvermeidbaren
Zwangspausen mit der nächsten Rechnergeneration von selbst erledigen.
In der uns vorliegenden Version funktionierte die im Handbuch beschriebene "Einschlußanwahl" zum Export von einzelnen Takten als EPS-Grafik nicht. Statt der beabsichtigten Anwahl
des Musikabschnitts offerierte Finale unerwarteterweise eine weitere Importmöglichkeit
(ja,ja ... it's not a bug, it's a ...bla, bla, bla...).
|
Hersteller |
Coda Music |
Preis: |
DM 1198,- |
Wertung: |
schon richtig gut... |
Fazit
Finale 97 präsentiert sich getreu
dem Motto "Never change a winning team". Altbewährtes wird beibehalten
und konsequent verbessert. Die Änderungen gegenüber Version 3.7 zeugen
davon, daß die Programmierer die konstruktive Kritik der Anwender beherzigen
und umzusetzen versuchen. Mit der vorliegenden Version 3.8 erhält man den wohl
derzeitig leistungsfähigsten Noten-Editor überhaupt. Im Bereich des professionellen
Notensatzes scheint Finale - trotz der verbleibenden Kritikpunkte - konkurrenzlos.
Dies betrifft sowohl die mächtigen Programmfähigkeiten als auch das gedruckte
Ergebnis selbst. Als Voraussetzung allerdings gilt, daß der Anwender bereit
ist, die fast unüberschaubare Fülle der Optionen und Eingriffsmöglichkeiten
höher einzuschätzen, als den damit verbundenen erforderlichen Mehraufwand
in der Einarbeitungsphase. Besonders die neue Programmierschnittstelle eröffnet
für die Zukunft weitere interessante Perspektiven.
Der Preis von rund 1200,- DM erscheint angesichts der Leisungsfähigkeit von
Finale 97 angemessen. Sehr erfreulich sind übrigens die Update-Preise: 248,-
DM bis maximal 650,- DM (von Version 1.0 auf 3.8).
Relevante Webseiten:
Test im PDF-Format:
Sie haben an dieser Stelle die Möglichkeit, diesen Test als Acrobat PDF-Datei
(Version 3.0) auf Ihren Computer zu übertragen - incl. aller verwendeten Bilder
und Schriften.
Über Anregungen per Email würden
wir uns sehr freuen.
|